Die Blumenfrauen vom Zentralfriedhof

Am Wiener Zentralfriedhof herrscht heute keine Stimmung. Dafür ist viel zu viel zu tun. Nicht draußen bei den Gräbern, sondern hier herinnen in der Blumen-Binderei. Sie ist in einer kleinen Halle der zentral gelegenen Friedhofsgärtnerei untergebracht.

Schon die Eingangstür zur Binderei macht klar: Hier wird hart gearbeitet. Die grau lackierte Holztür hat fast so viele Kerben und Schleifspuren, wie es am Friedhof Gräber gibt. O.k., das ist bei 493.744 Grabstellen stark übertrieben, aber abgenützt ist sie trotzdem.

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Es wird fast nichts gesprochen

In der Binderei stehen acht Frauen an großen Tischen. Wieselflink greifen sie nach den links und rechts stehenden Blumen, um daraus Kränze und Gestecke zu machen. Gesprochen wird dabei fast gar nichts.

Gemeindebedienstete Tanja Sehn-Zuparic: „Wir haben immer sehr viel zu tun. Da müssen wir uns sehr konzentrieren.“ Nur aus einem kleinen schwarzen Radio am Fensterbrett ist Ö3 zu hören.

Vor allem vor Allerheiligen geht’s in der kleinen Halle rund. Da werden in großer Stückzahl Kränze und Gestecke angefertigt. Die werden dann an verschiedenen Verkaufsständen angeboten. Tanja Sehn-Zuparic: „Natürlich erledigen wir dabei die normalen Bestellungen auch noch.“

Die Massen bleiben aus

Wobei Allerheiligen nicht mehr Allerheiligen ist. Während früher tatsächlich noch die Massen zu den Friedhöfen gepilgert sind, um die Toten zu ehren, werden es von Jahr zu Jahr weniger.

Das hat vielleicht etwas mit der generellen Einstellung zum Tod zu tun. Während er früher irgendwie dazugehörte, wird er heute so gut es geht verdrängt.In unserer virtuellen Glitzerwelt haben Gedanken an das eigene Ende einfach keinen Platz.

Und damit werden auch jene, die bereits gegangen sind, immer weniger geehrt.Aber auch die Begräbniskultur an sich ändert sich. Während es vor ein paar Jahren noch selbstverständlich war, „a schöne Leich“ auszurichten und den Toten in einem glänzenden Holzsarg im Familiengrab beizusetzen, wird nun immer mehr reduziert.

Bei den Blumen wird nicht gespart

Wobei bei den Blumen nicht unbedingt eingespart wird. Sie sind noch immer ein deutliches Zeichen dafür, in welchem Verhältnis man zu dem Toten stand.„Als mein Papa starb, habe ich ihm ein Gesteck in Herzform gebunden“, sagt Floristin Karin Klein mit einer gewissen Trauer in der Stimme.

Sie ist bereits seit 25 Jahren bei der Gemeinde Wien beschäftigt – und zählt zu den schnellsten Binderinnen in der Werkstatt. Karin Klein: „Das hängt aber auch ein bisschen davon ab, mit wem ich an einem Tisch stehe. Wenn mein Gegenüber schnell ist, werde ich natürlich auch schneller.“

Wie viele Kränze und Gestecke sie schon in ihrem Leben gebunden hat, kann Karin Klein nicht sagen. „Das müssen Tausende gewesen sein.

Schmerzende Finger bei Zilk-Begräbnis

Aber was passiert eigentlich, wenn den Binderinnen die Blumen ausgehen? Tanja Sehn-Zuparic: „Das passiert einfach nicht. Dafür bin ich zuständig. Wir wissen ja mindestens zwei Tage im voraus, was wir zu produzieren haben. Und danach bestelle ich auch. Wir bekommen die Blumen von einem Großhändler und lagern sie dann in unserer Kühlkammer.“

Die Routine wird aber nicht nur durch Allerheiligen durchbrochen. Auch wenn Prominente sterben, gibt es außergewöhnlich viel zu tun.Wobei ein Ehrengrab nicht automatisch gleich bombastischen Blumenschmuck bedeutet.

Tanja Sehn-Zuparic: „Die Blumen sind extra, sozusagen. Wenn die niemand bestellt und zahlt, gibt es auch keine.“Das letzte Begräbnis, das den Blumenbinderinnen Schmerzen in die Finger trieb, war das von Bürgermeister Helmut Zilk.

Ablenkung vom Tod

Wobei Tanja Sehn-Zuparic noch ein Ereignis einfällt, das in die „Firmengeschichte“ eingegangen ist. Und zwar von jenem Chinesen, der für ein Begräbnis von heute auf morgen 30 Kränze bestellt hat.

Die Gemeindebedienstete: „Wir sind sehr kundenorientiert, deshalb haben wir es selbstverständlich geschafft.“Wobei Tanja Sehn-Zuparic schon längst wieder ein paar Blumen in der Hand hat und konzentriert weiterarbeitet. Schließlich gibt es noch viel zun.

Übrigens: Die flinken Floristinnen fertigen auch Brautsträuße, Autoschmuck, Tischgestecke, Blumenkopfschmuck und noch viel mehr an.Das lenkt auch ein bisschen vom Tod ab.

 

(Originalbeitrag der younion lesen)